Stefan Wessels: „Ich nutze nun die Vorteile, die einem das „normale“ Leben bietet“ - Teil 2


Fortsetzung vom Interview mit Stefan Wessels

Kann man im Rückblick sagen, dass Du dem damaligen Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld am meisten zu verdanken gehabt hast?
„Zu verdanken finde ich übertrieben. Er musste mich bringen, weil er keinen anderen mehr hatte. Dennoch war er für mich ein sehr guter Trainer. Er hat mir überhaupt kein Gefühl des Zweifelns gegeben. Bestimmt war er sich unsicher. Er hat es mich aber nicht spüren lassen. Dazu hat mich die Mannschaft vorher unterstützt. So haben Effe und Lothar gesagt: Mach dir keine Sorgen, wir helfen dir.“

In deiner Bayern-Zeit bist du selbstverständlich auch auf Uli Hoeneß getroffen. Wie würdest du den Menschen Uli Hoeneß charakterisieren?
„Ich habe ehrlich gesagt wenig Kontakt zu ihm gehabt. Er kämpft sehr intensiv für seinen Verein. In den letzten gut 30 Jahren ist der FC Bayern nahezu gleichzusetzen mit Uli Hoeneß. Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, dass er über das Ziel hinausschießt Er hat kein Problem damit anzuecken. Was ich bei ihm aber besonders beeindruckend finde, ist sein soziales Engagement.
Vor allem die Art und Weise, wie er es macht. Für ihn steht die Aktion im Vordergrund und nicht die Öffentlichkeit, die er damit erregt.“

Im Jahr 2003 bist du von der Reservebank des FC Bayern München ins Tor des Bundesliga-Aufsteigers 1. FC Köln gewechselt. Wie wichtig war der Wechsel für Deine persönliche Entwicklung?
„Das war eine bewusste Entscheidung. Bei Bayern habe ich zwar jedes Jahr einige Spiele gemacht, ich habe Spiele in der Champions League machen dürfen und einige Titel gewonnen. Die Erfahrung war toll. Aber mit 24 Jahren war es nicht meine Erfüllung, meine ganze Karriere auf der Bank zu sitzen. Da kam mir das Angebot aus Köln gerade recht. Der FC ist ein großer Klub, Köln ist eine tolle Stadt und es gibt sehr emotionale, Fans. Daher war der FC für mich ein guter Schritt in meiner Karriere.“

Waren beim „Eff zeh“ die Emotionen letztlich am ausgeprägtesten?
„Köln und der FC lebt natürlich von den Emotionen. Im Positiven wie im Negativen. Aufgrund der Emotionen und der Stimmung in der Stadt waren es vier schöne Jahre in der Stadt, auch wenn es sportlich ein stetes Auf und Ab war. Leider bin ich durch schwere Verletzungen immer wieder zurückgeworfen worden und musste mir meinen Status jedes Mal wieder neu erarbeiten.“

Wegen Verletzungsproblemen und wegen der Verpflichtung von Faryd Mondragon hast Du im Sommer 2007 den 1. FC Köln verlassen. Wie sehr hat der Abschied geschmerzt?
„Die Vorgehensweise damals war sehr unschön. Ich hatte gerade meinen Vertrag verlängert, als mir mitgeteilt wurde, dass ich gehen könnte. Daher war für mich klar, dass ich bei einem attraktiven Angebot wechseln würde. Als dann die Anfrage vom FC Everton kam, wollte ich mir den Traum vom englischen Fußball erfüllen.“

Nach Köln bist Du ins Ausland gewechselt. Würdest du die Auslandsstationen als die richtige Entscheidung bezeichnen?
„Ja definitiv. Diese Stationen haben mich vor allem menschlich enorm weitergebracht und ich habe spannende Einblicke gewinnen dürfen.“

Du hast in vier verschiedenen Ländern Fußball gespielt. Wie siehst du die Bundesliga im internationalen Vergleich. Ist die auf dem Vormarsch?
„Die internationalen Ergebnisse zeigen, dass die Bundesliga definitiv auf dem Vormarsch ist. Wobei die Art des Fußballs unterschiedlich ist. Beim Videostudium im Vorfeld unserer Europa League-Partien gegen den 1. FC Nürnberg ist mir erst bewusst geworden, dass es im deutschen Fußball im Vergleich zum englischen Fußball deutlich langsamere Episoden gibt. In England wird es nicht akzeptiert, wenn in der Viererkette hintenrum gespielt wird. Du musst nach vorne spielen, worunter die Qualität aber leidet. Das englische Spiel ist schneller und energischer. Mehr Kampf und Zweikämpfe sind extrem auffällig.“

Gibt es in England nicht ein größeres Leistungsgefälle im Vergleich zur Bundesliga?
„Das gibt es sicherlich. Zu meiner Zeit in England gab es die „Big Four“ und den Rest dahinter. Momentan ändert sich das Bild ein wenig, aber dennoch ist das Gefälle größer als in Deutschland. In der Breite ist die Qualität in der Bundesliga schon länger besser. Nun kommt in der europäischen Spitze zu Bayern natürlich auch noch Dortmund hinzu. Ich denke, dass die Bundesliga auf Dauer immer zu den besten zwei, drei Ligen auf dem Kontinent gehören wird, weil großer Wert auf ein solides Wirtschaften und Nachhaltigkeit gelegt wird.“

Stichwort Wirtschaften. Wie siehst du das neu eingeführte Financial Fair Play?
„Der Ansatz ist definitiv gut. Die Frage bleibt natürlich, wie das eingehalten und umgesetzt werden kann oder ob Vereine es immer wieder schaffen, die Statuten zu umgehen.“

Nun mal zu einem persönlichen Thema. Eine Zeitlang warst Du vereinslos. Sicherlich keine einfache Zeit für einen Ex-Profi des FC Bayern. Wie hast Du die vereinslose Zeit verarbeiten können?
„Nach der Zeit beim VfL Osnabrück hätte ich bei einigen Vereinen direkt unterschreiben können. Ich habe mir aber gesagt, dass ich nur ein Angebot annehmen möchte, bei dem ich mir sportlich und privat sicher fühle. Dies ist auch der Grund gewesen, warum es eine Zeitlang gedauert hat. Von meiner Seite war es eine bewusste Entscheidung zu sagen, dass ich nicht das erstbeste Angebot annehme, sondern dass ich auf das Angebot warte, das passt.“

Wäre denn auch ein fußballerisches Abenteuer in einem Land außerhalb von Europa für Dich eine Möglichkeit gewesen? Bekanntlich ist Dein ehemaliger Teamkollege Thomas Broich in Australien ein echter Star und konnte seine schwierige Zeit in Deutschland ein wenig vergessen lassen.
„Australien und die USA wäre auf jeden Fall in Frage gekommen. Mit Thomas Broich (der sehr erfolgreich bei Brisbane Roar in Australien kickt) habe ich in Köln zusammengespielt und zu dem Zeitpunkt war es ein Traum von mir, zum Karriereende Down Under zu spielen. In der Realität ist es dann aber nicht immer einfach, so etwas zu realisieren, speziell auf der Position des Torwarts. Ich hatte durchaus exotische und finanziell lukrative Angebote aus Papua Neuguinea und Vietnam. Diese waren sportlich und familiär allerdings nicht passend.“

Jetzt mal ein anderes Thema. Viel ist in den letzten Wochen im Fußball auch über den Leistungsdruck gesprochen worden. Denkst Du, dass dieser Druck zu groß für den Sportler sein könnte?
„Natürlich ist es so, dass wir Profis sind und gewinnen wollen und manchmal auch müssen. Das ist keine Frage. Daher sind Erwartungen da und ein gewisser Druck ist gegeben. Dennoch haben auch Profisportler schlechte Tage oder auch mal schlechte Phasen. Verständlicherweise werden wir dann auch kritisiert. Diese Kritik muss aber in einem gewissen Rahmen bleiben und darf nicht persönlich und verletzend werden.“

Vor rund drei Jahren hat sich Nationaltorwart Robert Enke aufgrund von Depressionen das Leben genommen. Wie wurde diese Tragödie im Profifußball im Kollegenkreis behandelt?
„Natürlich wurde viel über dieses Thema auch gesprochen. Einige Wochen wurde diskutiert und geschrieben, dass sich etwas ändern muss und der Respekt untereinander größer sein muss. Meiner Meinung nach waren die guten Vorsätze aber nach relativ kurzer Zeit wieder vergessen.“

Eine kurze Abschlussfrage. Welche Ziele hast Du Dir noch vorgenommen oder bist du zufrieden, wie es derzeit ist?
„Momentan bin ich mit meinem Leben sehr zufrieden und ich genieße die Vorteile des „normalen Lebens“ wie z.B. freie Wochenenden. Der Aufbau von „BaKoS – Die Osnabrücker Ballschule e.V.“ und das Training mit den Kindern macht mir enormen Spass. Ich freue mich jetzt auf den Start des Torwarttrainings im Jugendleistungszentrum Emsland.“


Herr Wessels, herzlichen Dank für dieses Gespräch

Quelle: Privat
Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: Stefan Wessels; 1. FC Köln; FC Bayern München; Glasgow Rangers; Oliver Kahn; Odense BK; Mathäus; Effe
Datum: 16.01.2013 20:58 Uhr
Url: http://www.3-liga.com/news-fussball-stefan-wessels--„ich-nutze-nun-die-vorteile--die-einem-das-„normale“-leben-bietet“---teil-2-3668.html


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