Spanien zeigt Demut und Respekt

Selten fiel die Wahl des Europameisters vor einem Turnier so einstimmig aus, wie vor dieser EM 2012 in Polen und der Ukraine. Viele Fachleute sind sich einig, dass der EM-Titel in diesem Jahr nur über Spanien gehen kann. Die beiden anderen hoch gehandelten Titelkandidaten haben entweder mies gespielt (Deutschland) oder mies gepunktet (Niederlande). Deshalb liegt der Fokus auf die iberischen Kicker, die sich ganz und gar nicht satt zeigen, angesichts der gewonnenen Weltmeisterschaft und Europameisterschaft.

Bescheidenheit ist Trumpf bei Spanien. Man möchte bloß keine Arroganz zeigen. Überheblichkeit oder gar fehlender Respekt vor dem Kontrahenten sind Tugenden, die Nationaltrainer Vicente Del Bosque so hasst, wie der Teufel das Weihwasser. Nüchtern und respektvoll beziffert der Erfolgscoach daher die Chancen auf „50:50“. Die Erinnerungen an das verlorene Auftaktspiel von Spanien gegen die Schweiz sind noch zu frisch.
In diesem Fall ist er wenig stolz auf die jüngste Vergangenheit und erklärt gegenüber „eurosport“: „Wir wollen die Geschichte nicht wiederholen.“ Der Respekt vor Italien ist trotz der jüngsten Skandale riesig. Die taktische Disziplin, aber auch die hervorragenden Einzelspieler werden immer wieder genannt, wenn die Stärken von den „Stiefelkicker“ genannt werden.
Bei Italien hingegen zeigt man ähnliche Demut. Torhüter Gianluigi Buffon etwa gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er über den Welt- und Europameister sagt: „Spanien ist mit keinem anderen Team vergleichbar. Sie sind einfach super.“
Doch sein spanisches Pendant Iker Casillas möchte in diese Lobeshymnen nicht einstimmen. Er hält bewusst dagegen und nennt als Beispiel das vergangene Kontinentalturnier 2008, als seine Mannschaft erst im Penaltyschießen das EM-Viertelfinale für sich entscheiden konnte. Casillas hat dies wahrlich nicht vergessen. Er beklagt sich über die Erwartungshaltung: „Ich höre immer, dass wir Favorit sind.“ Lobend äußert er sich: „Aber wir treffen auf ein starkes Team.“
Von den letzten beiden Turnieren, die für Italien bereits sehr frühzeitig endeten, will man sich bei den Iberern nicht beeinflussen lassen. Folgerichtig erklärt Del Bosque: „Italien hat sich verändert. Sowohl von den Namen als auch von der Philosophie des Trainers her.“ Spielmacher Xavi sagt ehrfurchtsvoll: „Das ist nicht mehr der alte Catenaccio. Trotzdem möchte das derzeit weltbeste Team auf die eigenen Stärken bauen: „Wir wollen das Spiel machen.“
Bei Spanien gibt es nach dem Ausfall von Goalgetter David Villa, der mit einem Schien- und Wadenbeinbruch für die Euro unpässlich ist, einen Zweikampf zwischen Fernando Torres vom FC Chelsea und Fernando Llorente, der beim spanischen Überraschungsteam Athletic Bilbao spielt. Zwischen diesen beiden Ausnahmekönnern gibt es ein Duell um den Platz in der Sturmspitze.
Auch wenn die Rivalität augenscheinlich groß ist, so möchte Del Bosque bewusst ein wenig Feuer aus dieser brisanten Angelegenheit nehmen, indem er sagt: „Die Atmosphäre ist gut. Wie in jeder großen Gruppe verstehen sich einige besser, andere weniger gut. Aber es gibt auch keine Rivalitäten innerhalb des Teams.“ Leicht verlegen schränkt er gegenüber Medienvertretern ein: „Am meisten schadet uns natürlich der Ausfall von David Villa.“ Wahre Worte, denn der 30-jährige Stürmer des FC Barcelona ist unersetzlich im System des wahrscheinlich bescheidensten Welt- und Europameisters aller Zeiten.

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