Schweinsteiger über Griechenland: „Es liegt nur an uns“


Bisher hat Deutschlands Vize-Kapitän Bastian Schweinsteiger sehr wechselhaft agiert. Während er im Prestigeduell gegen die Niederlande als absolute Führungspersönlichkeit aufgetreten ist, merkte man ihm in den Spielen gegen Portugal und Dänemark an, dass er seine lange Verletzungspause erst noch richtig verkraften muss. Trotzdem muss man ihm zugute halten, dass er stets als Führungspersönlichkeit die Mannschaft in den engen Spielen mitgerissen hat. Vielleicht kann Deutschland in den entscheidenden K.o.-Spielen einen formverbesserten Bastian Schweinsteiger kennenlernen. Im Gespräch mit „team.dfb.de“ gibt er einen Einblick in seine Seele, spricht über die sportlichen Ziele und verrät noch viele andere interessante Geschichten.

Es ist bekannt, dass Joachim Löw nach dem 2:1 Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Dänemark extrem erleichtert gewesen ist. Um den Spielern seine Dankbarkeit für die, zumindest ergebnistechnisch perfekte Rückrunde auszudrücken, gab er seinen Kickern am Dienstag einen halben Tag frei. Wichtig, da man schon seit mehreren Wochen im Mannschaftsquartier untergebracht ist und Langeweile durchaus drohen könnte, wenn es nicht diese externe Abwechslung gegeben hätte. Schweinsteiger sieht dies ähnlich, wenn er sagt: „Es tat gut, mal rauszukommen. Es war eine willkommene Abwechslung. Mir war es wichtig, auch was von Danzig kennen zulernen. Ich finde es gut, wenn man nicht nur im Hotel ist, sondern auch etwas über die Gegend und den Ort erfährt, an dem man sich so lange aufhält. In Südafrika haben wir uns beispielsweise Johannesburg angeschaut und auch eine Führung durch Kapstadt gemacht. Ich finde das richtig, und - wie man im Spiel gegen Argentinien gesehen hat - es steht dem sportlichen Erfolg auch nicht entgegen.“
Aus seiner Begeisterung für das Meer macht er kein Geheimnis. Und das obwohl er aus dem tiefsten Bayern kommt, wo bekanntlich die Bergwelt die Landschaft prägt. Gegenüber „team.dfb.de“ erklärt er: „Das Meer hat auf mich eine beruhigende Wirkung. Das erlebe ich aber auch in den Bergen in Bayern. Das Panorama dort ist atemraubend und gigantisch. Ich mache gerne auch Ausflüge dorthin.“
Was er von seinem ehemaligen Mannschaftskollegen Oliver Kahn gelernt hat, war die absolute Konzentration auf ein bestimmtes Ziel. Der Fokus auf den größtmöglichen Erfolg. Nachdem er das „Champions-League-Finale dahoam“ unverdient und unglücklich gegen Chelsea London verloren hat, möchte er jetzt unter allen Umständen seinen ersten Titel mit der Nationalmannschaft erreichen. Diesen Ehrgeiz sieht man ihm an. Auch auf dem Platz, aber vor allem an seinem Verhalten, seiner Gestik und Mimik und Rhetorik außerhalb. Offen gibt er zu, dass ihn dieser vierte EM-Titel mit Deutschland tangiert: „Es ist wichtig, das zu können. Ich denke bei einem Turnier fast permanent an Fußball, daran, was wir noch besser machen können. Ich denke viel über Kleinigkeiten und über das große Ganze nach und beschäftige mich ständig mit unserem Spiel. Umso wichtiger ist die Abwechslung. So mache ich es auch in München. Ich wohne zwar in der Stadt, suche aber immer wieder auch meine Ruhe. Ich brauche dieses Mischung, zwischen Ruhe und Anspannung, zwischen Fußball und "normalem Leben".“
Auf das verlorene Endspiel gegen Chelsea angesprochen haben die beiden anderen „Bayern-Alphatiere“ im DFB-Team, Holger Badstuber und Philipp Lahm davon gesprochen, dass nun möglicherweise die Motivation und die Gier auf das große Ziel Titelgewinn noch größer sein könnte. Der 27-Jährige äußert sich dazu: „Die Gier war bei mir schon lange vor dem Finale da. Als ich gehört habe, dass das Finale in München stattfindet, war meine Motivation ständig top. Mittlerweile kann ich ganz gut damit umgehen, dass die Gier nicht befriedigt worden ist. Das hat auch damit zu tun, dass es bestimmte Gründe dafür gab, dass wir dieses Spiel nicht gewonnen haben. Hätte es diese Gründe nicht gegeben, dann wäre es viel schwieriger gewesen, die Niederlage zu verarbeiten.“
Mittlerweile kann er auch ein Stück weit gelassener mit der Situation umgehen, da er das Finale richtig analysiert hat. Nun hat er folgende Meinung dazu: „Die Niederlage wäre für mich viel schwieriger zu akzeptieren, wenn wir alles richtig gemacht und trotzdem verloren hätten. Aber so war es nicht. Im Fußball entscheiden viele Kleinigkeiten darüber, ob man ein Spiel gewinnt. Chelsea hat nicht viel für das Spiel gemacht, aber sie haben aus ihren Möglichkeiten das Maximale herausgeholt. Sie hatten zwar in der einen oder anderen Situation auch das Quäntchen Glück, aber sie haben ihre Kleinigkeiten besser beherrscht als wir. Erst im Elfmeterschießen spielt der Faktor Glück dann eher eine entscheidende Rolle.“
Er wird konkret und erinnert sich an die Voraussetzungen und die möglichen Geschichten, die vor dem Spiel kursiert haben: „Vor diesem Spiel waren zwei Geschichten möglich: Der erste Verein, der den Titel im eigenen Stadion gewinnt. Mit einer jungen Mannschaft. Oder ein Team holt den Titel, in dem viele ältere Spieler stehen, die wahrscheinlich nie wieder so ein Endspiel erleben werden. Und zudem die Mannschaft, die das Finale vor vier Jahren tragisch im Elfmeterschießen verloren hat.“
Speziell im Fall der Tragödie von Robert Enke war immer wieder von Druck die Rede. Ein Druck, den sich der Sportler selbst macht. Bewusst möchte Schweinsteiger ein Stück mehr Lockerheit an den Tag legen und lieber die positiven Aspekte besprechen, die ein möglicher Titelgewinn mit sich bringt. Auch daran erkennt man, dass aus „Schweini“ ein Schweinsteiger geworden ist. Vernünftig ist er. Die Zeit, als er sich mit angeblichen Cousinen im Bayern-Wellnessbereich amüsiert hat, gehören der Vergangenheit an. Nun ist er ein absoluter Leistungsträger und Vorbild für den einen oder anderen jungen Spieler im Kader. Zum Thema Druck hat er daher auch eine „entspannte“ Meinung: „Was ist Druck? Uns allen geht es sehr gut. Druck haben Menschen, die um ihre Existenz kämpfen oder die in großer Not sind. Ich empfinde eher einen Reiz. Es reizt mich, mit der Mannschaft bei dieser EM das auszureizen, was sie maximal kann. Es ist im Grunde ganz simpel: Wenn wir das konstant schaffen, dann werden wir auch Titel gewinnen. Ich spüre aber keinen Druck, dies zu müssen. Mich reizt es eher, die Vorraussetzungen dafür zu schaffen.“
Immer wieder vergleichen findige Journalisten die derzeitige Situation der Nationalmannschaft mit dem Team, welches bei der WM 2010 mit Spielfreude begeistert hat. Auf die Frage, ob diesmal die Effizienz überwiegt, antwortet er: „Nur bedingt. So leicht war die Vorrunde in Südafrika nicht. Gegen Ghana hatten wir schon das erste Endspiel. Auch die Spiele gegen England und Argentinien waren schwer. Das Ergebnis war zwar beeindruckend, aber die Arbeit war nicht einfach. In beiden Spielen haben wir es geschafft, kompakt und eng zu stehen und sehr schnell umzuschalten. Durch die Tore haben wir uns das Spiel dann einfacher gemacht. Ich hoffe, dass wir dies hier auch im weiteren Verlauf des Turniers hinbekommen.“
Als klaren Vorteil sieht er die Tatsache, dass nun die Erfahrung größer ist, wie er „team.dfb.de“ mitteilt: „Wir hatten damals eine gute Mannschaft, wir haben jetzt eine gute Mannschaft. Worin sie sich unterscheiden, ist die Erfahrung. In Südafrika waren zehn Spieler dabei, die zum ersten Mal ein großes Turnier gespielt haben. Diese Spieler sind jetzt wieder dabei und wissen viel besser, wie man sich verhalten muss, wenn man bei einem Turnier Erfolg haben will.“
Er selbst ist zum Führungsspieler im Löw-Team mutiert. Vor vier Jahren war das noch unvorstellbar. Er spricht vor allem die mentale Komponente an, die zuweilen anstrengender sein kann, als die körperlichen Defizite nach einem Spiel: „Ich hätte das früher nie gedacht. Zu Beginn meiner Karriere haben Spieler wie Michael Ballack, Oliver Kahn und Jens Lehmann davon gesprochen, wie Kräfte zehrend ihre Rolle ist. Ich habe das damals nicht ernst genommen, jetzt erlebe ich es selber. Vor allem auf dem Platz. Man nimmt tausend Dinge wahr, die Augen müssen weit sein, man muss sich auf sehr viele Dinge konzentrieren. Ich merke oft nach dem Spiel, dass ich nicht durch die körperliche Anstrengung müde bin, sondern im Kopf. Extrem war es nach dem Spiel in der Champions League in Madrid. Ich war noch nie nach einem Spiel so fertig wie nach dem Madrid-Spiel. Wie gesagt: vor allem im Kopf. Diese Müdigkeit habe ich auch nach dem Spiel gegen Dänemark gemeint. Ich weiß, dass viele das nicht nachvollziehen können, aber es ist so. Hinzu kommt, dass ich nicht nur für mich spiele, sondern ich will für 82 Millionen Deutsche erfolgreich sein. Auch die Herausforderung, für die Fans das Maximale aus sich herauszuholen, kostet geistige Energie.“
Viel wird von mentalen Übungen gesprochen, die Fußballspieler besser machen sollen. Ein spezielles Training kann Schweinsteiger hingegen nicht benennen. Einige Methoden und Gespräche helfen ihm dennoch, um auch mental schwierige Situation erfolgreich zu überstehen: „Ich unterhalte mich gerne mit Menschen, die selber Extremsituationen für den Kopf bewältigen müssen. Wie zum Beispiel mit dem Skifahrer Felix Neureuther, den ich zufällig auch privat gut kenne. Er muss in den zwei Minuten auf der Piste zu 1000 Prozent konzentriert sein. In meiner Zeit als Skifahrer habe ich das selber erlebt. Es ist nicht einfach, wenn man nach dem ersten Durchgang führt und dann oben im Wartehäuschen mitbekommt, wie die Konkurrenz eine Bestzeit nach der anderen fährt. Man steht dann dort, ist der allerletzte Fahrer, muss runter und darf keinen Fehler machen. Von Felix und von anderen zu hören, wie sie diese totale Konzentration hinbekommen, ist für mich interessant. Auch Gespräche mit Formel-1-Fahrern sind spannend.“
Als entscheidenden Faktor für den Erfolg der deutschen Nationalmannschaft schätzt er ein: „Für mich ist es entscheidend, dass wir mit der Mannschaft und den Trainern eine Linie haben und mit dem Betreuerstab eine geschlossene Einheit bilden. Wir können uns alle ehrlich die Meinung sagen, und es kommt nichts raus. So muss es sein. Ganz wichtig ist dieses Mannschaftsgefühl, der Gemeinschaftssinn. Wenn man das Gefühl hat: Da entsteht was.“
Einige besonders kritische Medien waren sicherlich mit der Punkteausbeute nach der Vorrunde zufrieden. Jedoch gab es vermehrt Stimmen, die auch von Glück sprachen und von der Tatsache, dass die einstige Souveränität nicht mehr erkenntlich war. Dazu sagt Schweinsteiger: „Letztendlich bin ich glücklich darüber, dass es so gelaufen ist. Neun Punkte aus drei Spielen, das hätten wir im Vorfeld sofort unterschrieben. Wir haben es im Allgemeinen sehr gut gemacht. Aber im Spiel gibt es immer Situationen, in denen es hätte anders laufen können. Van Persie hätte das 1:0 machen können, Jakob Poulsen hat den Außenpfosten getroffen. Ich will das nicht zu negativ darstellen, aber es ist auch nicht sinnvoll, so zu tun, als hätte es diese Szenen nicht gegeben. Wir haben uns falsch verhalten, wir hätten jeweils noch einen Tick enger zusammenstehen müssen. Wir müssen daraus lernen. Wenn wir das tun, werden wir solche Spiele künftig souveräner gestalten. Und wir müssten weniger Aufwand betreiben.“
Es ist bekannt, dass Spanien einmal mehr der große Konkurrent für Deutschland bei dieser EM sein wird. In einem Interview vor wenigen Wochen sprach der erfahrene Schweinsteiger davon, dass der Welt- und Europameister nur auf „die deutsche Art geschlagen werden kann. Bei „team.dfb.de“ beschreibt er diesen Ausdruck, den einige Leute nicht exakt verstanden haben: „Laufbereitschaft, Kampf, unbedingter Einsatzwille, Leidenschaft. Das, was uns immer ausgezeichnet hat, das, worum uns die anderen immer beneiden. Für diese Attribute stehen wir noch immer, das merke ich häufig, wenn ich mich mit Spielern aus dem Ausland unterhalte. Und niemand sieht das negativ. Aber: Diese Tugenden stehen nicht mehr alleine. Wir haben zum Glück mittlerweile viele Spieler bei uns, die technisch gut sind, die fußballerisch gut sind, die spielintelligent sind, die gute Laufwege machen. Dieses gesamte Paket ist die deutsche Art. Wenn wir diese beiden Komponenten vereinen, dann ist es möglich, die Spanier zu schlagen.“
Für viele so genannte Experten ist Griechenland ein gefühltes Freilos, weil dieser Gegner als absolut schlagbar angesehen wird. Die Hellenen konnten in der Vorrunde auf eine solide Defensive bauen, zeigten jedoch auch in der Offensive eine extreme Effizienz. Schweinsteiger warnt bei „team.dfb.de“ eindringlich davor, dass man diesen Gegner unterschätzt. Deshalb erklärt er: „Es ist immer schwierig, gegen Gegner zu spielen, die defensiv stehen und die durch Konter zum Erfolg kommen wollen. Wir benötigen einen Plan, der uns aufzeigt, wie man einem solchen Gegner wehtun kann. Wir haben großen Respekt vor den Griechen. Sie haben sich in einer Gruppe durchgesetzt, wo alle gedacht haben, dass es sehr schwer für sie wird. Sie haben es geschafft, das ist stark. Wir wissen aber, dass es am Freitag nur an uns liegt, ob wir gewinnen oder nicht. Wenn wir unsere Stärken einbringen, werden wir die Griechen schlagen. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, die Griechen zu unterschätzen. Ich hoffe auch, dass unsere Fans in Deutschland verstehen, dass wir noch nicht im Halbfinale sind.“
Als besonderen Vorteil sieht er die räumliche Nähe zu Deutschland. Deshalb hofft er, dass zahlreiche deutsche Fans ins Nachbarland Polen kommen werden, um das DFB-Team lautstark zu unterstützen. Besonders erfreut, äußert er sich über die Unterstützung in der Ukraine durch die deutschen Fans: „Wir freuen uns über den großen Rückhalt. Wenn man gesehen hat, wie viele Fans bei unseren Spielen in der Ukraine in den Stadien waren, wie wir von ihnen unterstützt worden sind - das ist Wahnsinn. Genau so etwas brauchen wir weiter. Gegen Dänemark haben uns die Fans in der zweiten Halbzeit so lange nach vorne gepeitscht, bis wir das 2:1 gemacht haben. Die Unterstützung aus ganz Deutschland und der Fans vor Ort zu spüren, ist gerade für unsere junge Mannschaft enorm wichtig. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir weiter unterstützt werden, auch wenn wir "nur" 1:0 gewinnen und das Spiel zäh läuft.“
Der Ballast nach der geglückten Viertelfinalteilnahme ist von seinen Schultern gefallen. Nun möchte er unter allen Umständen den Weg ins Finale angehen. Er weiß, dass dieser Weg kein Leichter sein wird, doch bei ihm überwiegt ganz klar die Vorfreude auf dieses Spiel: „Schon die Vorfreude auf das Turnier war gewaltig. Jetzt, wo wir die Gruppenphase überstanden haben, wächst sie weiter. Durch die Siege ist auch das Selbstvertrauen gewachsen. Ich spüre einen großen Drang in mir, ein perfektes Spiel zu liefern. Ich hoffe, dass wir dem gegen Griechenland nahe kommen.“

Quelle: team.dfb.de
Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: Deutschland; Schweinsteiger; Löw; Griechenland; EM 2012
Datum: 21.06.2012 15:35 Uhr
Url: http://www.3-liga.com/news-fussball-schweinsteiger-ueber-griechenland--„es-liegt-nur-an-uns“-1770.html


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