Khedira möchte Teil der Fußballgeschichte sein


Vor zwei Jahren bei der WM 2010 in Südafrika galt Sami Khedira im zentralen Mittelfeld noch als Ersatzmann für den verletzten Kapitän Michael Ballack. Nun hingegen hat er sich mit starken Leistungen, auch bei Real Madrid zu einer absoluten Führungspersönlichkeit im deutschen Team entwickelt. Während Nebenmann Bastian Schweinsteiger noch nicht richtig in Form ist, präsentiert sich der Deutsch-Tunesier in einer prächtigen Verfassung. Nun äußert er sich im Interview mit „dfb.de“ über das bisherige Turnier, aber vor allem auch über das anstehende Halbfinale.

Stolz spielt bei Khedira eine ganze besondere Rolle. Auch der Vater, der die Karriere seines Sohnes erst ermöglicht hat, fühlt dieses, wenn er über seinen 25-jährigen Sohn spricht. Welche Bedeutung so etwas hat, erklärt er: „Ich habe zu meiner Familie und den Menschen, die mir nahe stehen, ein offenes und ehrliches Verhältnis. Mein Vater ist stolz auf seine Kinder, auf meine Brüder und mich gleichermaßen. Rani geht einen guten Weg beim VfB, mein anderer Bruder studiert und schließt mit Bestnoten ab, darauf ist unser Vater nicht weniger stolz. Aber natürlich freue ich mich, wenn mein Vater so etwas sagt.“
Vor dem völlig überraschenden 1:1 Ausgleich für Griechenland war es ein völlig einseitiges Spiel. Deutschland hätte schon frühzeitig eine klare Führung herausschießen müssen. Der Schock war dennoch groß, da man nicht wusste, wie die Mannschaft nach solch einem Rückschlag zurückkommen kann. Khedira beschreibt seine Gefühle, als die Griechen das Tor erzielt haben: „Das Tor hatte sich angedeutet. Wir sind aus der Halbzeit gekommen und haben viele Bälle leichtfertig verloren. In dieser Situation haben die Griechen einen fast perfekten Konter gespielt. Aber wir haben danach als Mannschaft hervorragend reagiert. Es war wichtig, dass wir das Tempo sofort wieder hoch gehalten, die Griechen weiter unter Druck gesetzt und nicht ins Spiel kommen lassen haben.“
Nur fünf Minuten danach war es der Madrilene höchstpersönlich, der mit einem traumhaften Direktschuss für die hochverdiente Führung sorgte und damit den Anfang eines wahren Torfestivals für das deutsche Team, welches in einem 4:2-Sieg mündete. Er beschreibt die Situation: „Ich hatte schon in der ersten Halbzeit eine Chance, einmal bin ich relativ frei zum Schuss gekommen. Beim 2:1 habe ich gesehen, dass Jerome Boateng außen durch ist und frei zum Flanken kommt. Es hat sich alles auf den ersten Pfosten orientiert, ich habe im Rückraum gestanden und mich Richtung Strafraum-Mitte bewegt. Der Ball kam perfekt, ich habe ihn mit vollem Risiko genommen und zum Glück getroffen. Es war die pure Erleichterung. Zum einen, in Führung zu gehen, zum anderen, endlich mal wieder für die Nationalmannschaft getroffen zu haben.“
Über die Werthaltigkeit dieses Treffers weiß er zu berichten: „Für die Masse war es die wichtigste Aktion. Es war enorm wertvoll, dass wir so schnell wieder in Führung gegangen sind. Ich versuche, der Mannschaft aber nicht nur durch ein Tor oder eine Torvorbereitung zu helfen, meine primären Aufgaben sind ja andere. Ich bin dafür da, Ruhe ins Spiel zu bringen und das Spiel zu kontrollieren. Und in dieser Rolle habe ich viele Aktionen, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind.“
Khedira gilt als Fußballverrückter, der sich sehr stark auf den Beruf konzentriert und auch versucht neben dem Platz immer wieder etwas zu lernen. Er lebt für den Beruf regelrecht. Eine gewissenhafte Vorbereitung auf Gegner und Spiel gehören für ihn zur Pflichtveranstaltung. Über seine „Vorliebe“ spricht er mit „dfb.de“: „Es gibt auch Spiele, bei denen ich mich einfach nur zurücklehne. Aber ich habe fast immer ein Auge darauf, wie sich Spieler und Mannschaften taktisch verhalten. Oft wird über den Spieler geschimpft, der den Ball verloren hat, obwohl er gar nicht die Ursache für den Ballverlust war. Ihm haben die Anspielstationen gefehlt, weil sich die Mitspieler zu wenig und falsch bewegt haben. Häufig wird auch nur der Torschütze bejubelt, aber es wird nicht gesehen, welche Laufwege für das Tor nötig waren und an welchen Stellen des Platzes für den Torerfolg Arbeit investiert wurde. Fußball wird vielfach oberflächig gesehen, für mich ist Fußball viel komplexer.“
Auch ist es bekannt, dass sich Khedira vor dem Schlafengehen intensiv über das Spiel Gedanken macht. Trotz dieser Einseitigkeit hatte der Leistungsträger jedoch Probleme beim Einschlafen, wie er zugibt: „Ich hatte gestern gewaltige Probleme mit dem Einschlafen. Woran das lag, weiß ich nicht. Wahrscheinlich, weil das Spiel intensiv war und weil viel auf dem Spiel stand. In der öffentlichen Wahrnehmung war es bislang das einfachste Spiel bei dieser EM, für mich war es das schwerste. Viele haben schon vor dem Spiel vom Halbfinale gesprochen - wir zum Glück nicht. Wir haben über 90 Minuten ein hervorragendes Spiel gemacht, es gab viele intensive Szenen und Momente. Das alles war noch lange in meinem Kopf.“
Die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine ist auch ein Zusammentreffen von den Stars von Real Madrid, die für ihre jeweiligen Länder dabei sind. So gibt es noch mehrere spanische Nationalspieler, wie Xabi Alonso, Iker Casillas oder auch Sergio Ramos, die auf Portugal mit Cristiano Ronaldo, Pepe und Fabio Contrao aufeinandertreffen. Sami Khedira hält über SMS Kontakt mit seinen Mitspielern, wie er bei „dfb.de“ zugibt: „Was die Portugiesen in diesem Turnier geleistet haben, nicht nur im Spiel gegen uns, ist beeindruckend. Speziell, was Cristiano bisher zeigt. Man schreibt sich immer mal wieder, man gratuliert sich, man wünscht sich Glück. Mesut ist da sehr aktiv. Er schreibt häufig SMS, auch in meinem Namen.“
Er nennt auch Gründe, die dafür sprechen, dass die deutsche U21-Nationalmannschaft 2009 in Schweden sensationell und hochverdient Europameister geworden ist. Einige Spieler gehören nun dem A-Kader an und versuchen es nun den Junioren nachzumachen. Khedira, der auch in der U21-Nationalmannschaft ein absoluter Führungsspieler gewesen ist, nennt die Gründe für den Titelgewinn: „Ganz entscheidend war Trainer Horst Hrubesch. Er hat es geschafft, aus vielen guten Individualisten eine Mannschaft zu formen. An diesem Punkt sind wir jetzt auch beim A-Team. Wir haben viele hervorragende Einzelspieler mit herausragenden Fähigkeiten in der Offensive. Aber sie alle leisten auch Defensiv-Arbeit. Ich nehme gerne meinen Freund Mesut Özil dafür als Beispiel. Er galt lange nur als Künstler. Jetzt stellt er sich in den Dienst der Mannschaft. Das war in der Vorrunde gut zu sehen. Er hat weniger geglänzt, hat aber viele Laufwege gemacht, viel nach hinten gearbeitet und damit großen Anteil am Erfolg. Wenn eine Mannschaft soweit ist, dann ist das ein extrem gutes Zeichen.“
Wenn er seine aktuelle Rolle mit der von 2009 vergleichen soll, dann fällt auf, dass der Deutsch-Tunesier eine Entwicklung hingelegt hat, die in diesem Tempo nicht unbedingt zu erwarten gewesen wäre. Er selbst beschreibt diesen Zeitraum: „In den vergangenen ein, zwei Jahren hat es sich in diese Richtung entwickelt. Ich spüre zu 100 Prozent das Vertrauen des Trainerteams, das hilft dabei, Verantwortung zu übernehmen. Ich übernehme Verantwortung, mir wird aber auch Verantwortung übertragen - schon dadurch, dass ich in einer zentralen Position spiele. Ich fühle mich in der Mannschaft zu 100 Prozent wohl und zu 100 Prozent verstanden. Das ist die Grundlage dafür, dass ich meine Leistung abliefern kann.“
Mit einer großen Entschlossenheit ist das deutsche Team gegen Griechenland aufgetreten. Es war relativ schnell ersichtlich, dass dieses Spiel nur einen Sieger haben konnte. Deutschland war dem Kontrahenten aus dem Süden Europas in nahezu allen Bereichen überlegen, auch wenn die Chancenverwertung sicherlich höher hätte ausfallen können. Khedira ist die Vorfreude auf das Halbfinale anzumerken, wenn er sagt: „Für solche Spiele trainieren wir. Wenn man so ein Spiel erreicht, dann weiß man, wofür man so viel gearbeitet hat und dass sich die Mühen lohnen. Diese Momente, diese Spiele vergisst man nicht. Ich freue mich riesig auf die großen Spiele, noch mehr, wenn wir gegen starke Mannschaften spielen wie Italien und England. Sich mit den Besten zu messen, macht am meisten Spaß. Es ist wunderschön, wenn man die Chance hat, Teil der Fußball-Geschichte zu werden.

Quelle: dfb.de
Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: Deutschland; Khedira; Özil; Löw
Datum: 25.06.2012 19:44 Uhr
Url: http://www.3-liga.com/news-fussball-khedira-moechte-teil-der-fußballgeschichte-sein-1798.html


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