Jean-Marie Pfaff: "Die Qualität ist verkauft worden"


Im zweiten Teil dieses hochinteressanten Interviews spricht 3-liga-.com-Reporter Henning Klefisch mit Jean Marie Pfaff über den belgischen Fußball und seine ersten Gehversuche in der Bundesliga.

Jean-Marie Pfaff:
Bild: dfb.de
Klefisch: Die belgischen Vereine spielen in der Champions League und Europa League keine herausragende Rolle. Wie kann die belgische Liga stärker werden?

Pfaff: Die Nationalspieler sind alle im Ausland aktiv.Schau dir das jüngste Länderspiel an. Kein Auswahlspieler ist noch in der Heimat unter Vertrag. Du musst da nicht gegenarbeiten. Die Qualität ist verkauft worden. Man muss in Fußball investieren. Fußball ist ein beliebtes Medieninvestment, ein Geschäft geworden. Jetzt kommen die Russen und kaufen Mannschaften und Spieler auf. Ähnlich die Araber, die sehr viel investieren. Die Zukunft liegt bei den jungen Spielern im Verein. Die Jugendspieler müssen durch die Profis trainiert werden. Ich habe als Bayern-Spieler oft die Jugendspieler trainiert. Ich wollte meine Erfahrung weitergeben, gleichgültig, wo ich war. Ich habe keine Lücken hinterlassen. Ich habe in München mit meinem Kollegen Manfred Müller und Raimond Aumann zusammen gearbeitet.


Klefisch:Du musstest dich bei deinem Wechsel zu Bayern München erst einmal an den deutschen Fußball gewöhnen.
Wie groß ist damals der Unterschied gewesen zwischen dem belgischen und deutschen Fußball?


Pfaff: Es war ein riesengroßer Unterschied. Damals war ich Amateur in Belgien bei Beveren. Um 17.30 Uhr habe ich Training gehabt. Bis dahin musste ich noch einer Arbeit nachgehen. Wenn ich bei Anderlecht oder Standard Lüttich gespielt hätte, hätte ich nicht arbeiten müssen. Vielleicht war ich zu teuer für diese Vereine. Heutzutage ist die Situation eine völlig andere. Ich unterschreibe als Spieler einen Vertrag für vier Jahre und nach vier Monaten ist der Spieler weg. Nach einem Tor laufen diese zu den Fans, küssen das Vereinswappen und drei Monate später sind sie weg. Fußball ist eben Business. Die Welt hat sich durch das Fernsehen und die Werbung verändert. Das war bei uns damals nicht so. Ich weiß noch, dass ich früher von Tür zu Tür gehen musste, um für drei Euro zu singen, damit ich den Leuten noch Handschuhe verkaufen konnte.Mit diesem Geld habe ich meiner Mutter Blumen gekauft. Mein Vater ist 1965 gestorben, mit 51 Jahren. Wir waren damals neun Kinder. Wir haben die Sachen untereinander nachgetragen. Man muss sich dafür nicht schämen. So war die Zeit. Ich bin froh, dass ich gesund bin. Alles, was ich erreicht habe, habe ich selbst erreicht. Das ist meine Welt und mein Leben gewesen. Meine Welt und mein Leben bedeutete weiterzukommen. Ich war nicht nur in Bayern und in Belgien, sondern in der ganzen Welt beliebt. Ich habe immer für ein Autogramm bereit gestanden. In der Woche habe ich 2500 Karten unterschrieben. Du musst den Fans gegenüber ehrlich sein. Du musst Respekt haben, denn sie investieren viel Freizeit und Geld für den Fußball. Ich habe mir immer viel Zeit für die Fans genommen. Auch Franz Beckenbauer hat einmal gesagt: „Jean Marie Pfaff ist ein Vorbild für viele gewesen. Als ich früher meinen Job als Heizungsmonteur gehabt habe, habe ich immer davon geträumt, eine Putzfrau, einen Chauffeur und eine schöne Villa zu haben. Nun habe ich das auch. Ich habe das aber nicht geschenkt bekommen. Wenn ich nicht so eine gute Frau an meiner Seite gehabt hätte, hätte ich solch eine Karriere nicht machen können. Ich habe immer gesagt: „Meine Karriere beginnt nach meiner Karriere.“ Du darfst nicht arrogant sein. Sportprofi zu sein, ist ein Luxus. Früher habe ich mehrere Jobs gehabt. So habe ich fünf Jahre in einer Post gearbeitet, fünf Jahre in einer Bank und ich hatte mein eigenes Sportgeschäft. Ich war damals reiner Amateur. Um sechs Uhr begann ich zu arbeiten. Von 17:30 bis 21.00 Uhr war Training. Ich weiß, wie hart das Leben ist. Die Welt darf nicht stehen bleiben. Ich habe immer im Kollektiv gearbeitet, das heißt, wenn wir verlieren, verlieren wir zusammen.

Klefisch: Das Gegentor von Uwe Reinders in Bremen machte dich schnell bundesweit bekannt.
Was hast du nach dem Tor gegen Bremen gefühlt und wie hast du dich wieder aufgerichtet?


Pfaff: Ich kam in die Kabine. Dabei habe ich die Spieler ganz genau beobachtet. Die einen Spieler waren froh über dieses Gegentor, weil ihr Freund der Ersatztorwart gewesen ist. In Beveren hat ein Abwehrspieler mir schaden wollen, indem er absichtlich einen Ball durchgelassen hat. Danach habe ich zu ihm gesagt, dass er so etwas nie wieder machen soll. Sein Freund war ein Torwart-Kollege. Die gehörten einer Clique an. Sechs Spieler samt Ersatztorwart waren befreundet und wollten mich aus dem Tor haben. Als das Tor in Bremen gefallen ist, war es ein Glück, dass ich die Fans hinter mir hatte. Das nächste Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf haben wir 2:0 gewonnen. In dem Spiel habe ich zwei, drei Paraden gezeigt und konnte die Fans überzeugen. Danach gab es ein Spiel in Bielefeld. Dort habe ich super gehalten. Gegen Kaltz vom Hamburger SV habe ich einen Elfmeter kurz vor Schluss gehalten. Ich habe nicht auf Paul Breitner gehört und den Ball links aus der Ecke geholt.
Als ich in der Halbzeit im ersten Spiel in Bremen in die Kabine gekommen bin, meinte der Trainer, dass ich nicht in Belgien sein würde. Er sagte, du bist in München und das wird sich schnell ändern. Pal Csernai hatte mich immer unterstützt. Er war immer ehrlich zu mir. Trotzdem war es damals schwierig, weil ich die 2. Halbzeit noch bestreiten musste. Da muss man Charakter zeigen. In der Offensive wurden viele Chancen vergeben. Trotzdem sprachen alle nur über diesen Fehler. Der Torwart muss immer die Fehler der Abwehr ausbügeln. Man spielt so, wie man trainiert. Ich habe früher in Belgien trainiert, wo ich noch einmal extra Krafttraining machen musste. Alles habe ich selbst bezahlt. Als ich damals bei Bayern gespielt habe, hatten wir einen kleinen Kraftraum, der spartanisch eingerichtet worden ist. Nun hat sich extrem viel verändert. Die besten Bedingungen hat der FC Bayern heute im Kraftbereich. Wir haben früher an der Nordsee trainiert, ohne Pulsuhren. Diesen Luxus habe ich nicht gekannt. Bei Bayern München habe ich damals zweimal am Tag trainiert. Dann bin ich nach Hause gekommen, habe meine Kinder auf den Rücken genommen und Liegestütze gemacht. Ich habe auch zuhause trainiert. Im Winter wollte ich in der Halle auf der Matte trainieren. Dann habe ich in Eishockeykleidung Paraden trainiert. Dur brauchst immer kreative Ideen. Im Fußball ist es doch immer das Gleiche. Ideen und Technik sind wichtig. Gute Vorbilder inspirieren junge Spieler immer. Wenn z. B. Rummenigge seine artistischen Einlagen gezeigt oder Günter Netzer seine Freistöße getreten hat. Vor diesen Spielern habe ich Respekt.

Klefisch: Wenn du jetzt zurückblickst, wie würdest du deine Bundesligazeit bewerten?

Pfaff: Ich bin glücklich, dass ich dort gespielt habe. Ich hatte anfangs jedoch auch Respekt und auch ein wenig Angst vor der Bundesliga. Damals habe ich immer um 18.05 die Sportschau angeschaut. Dann habe ich das Foulspiel an Ewald Lienen gesehen. Ich habe mir gesagt, dass ich in dieser Liga niemals spielen möchte. Zwei Jahre später spielte ich dort. 1978 spielte Bayern München in Toulouse, wo ich zum ersten Mal richtig auf diesen Verein aufmerksam geworden bin. Im selben Jahr hat Sepp Maier seinen Verkehrsunfall gehabt. 1980 stand ich mit Belgien im Europameisterschaftsendspiel gegen Deutschland, als wir unglücklich mit 1:2 verloren haben. Bei uns waren im Gegensatz zu Deutschland von den 15 Kaderspielern noch zehn Amateure dabei gewesen, die nebenbei noch gearbeitet haben. 1982 wurde ich von Bayern München verpflichtet. Dieser Treffer im ersten Bundesligaspiel war echt hart, aber meine Frau und die Fans waren immer an meiner Seite. Csernai und Uli Hoeneß haben mich unterstützt. Auf den Fehler eines Torwarts zu warten, ist nicht besonders clever.

Klefisch: Wann hast du bemerkt, dass du richtig angekommen bist.Was hast du dafür getan?

Pfaff: Beim Heimspiel gegen Düsseldorf am zweiten Spieltag habe ich schon bemerkt, dass ich mich in München wohlfühlen kann. Nach dem unglücklichen Bremen-Spiel habe ich mir persönlich gesagt, dass ich noch härter trainieren muss. Viele sagen, dass ich einen Fehler begangen habe. Ich weiß, was ich für einen Fehler gemacht habe. In Belgien haben nach diesem Treffer viele Leute gedacht, dass ich nach drei Monaten wieder zurückkommen werde. Sechs Jahre habe ich beim FC Bayern München gekämpft, um meinen Platz zu behalten. Ich hatte, wie schon gesagt, sieben Operationen in München, allein drei Operationen an den Leisten. Ich habe mehrmals mit Spritzen gespielt. Dr. Müller-Wolfarth wird von mir eine „goldene Spritze“ erhalten. Auch mental musst du stark sein. Andere Kinder haben meine Kinder in der Schule damit aufgezogen, dass ich den Ball in Bremen nicht gehalten habe. Nach dem Düsseldorfspiel war es jedoch vorbei. Dann habe ich diesen Elfmeter gegen Kaltz gehalten und ich wurde von den Fans gefeiert. Ein paar Monate später spielten wir gegen PAOK Saloniki, wo ich zwei Elfmeter gehalten und einen selbst verwandelt habe. Viele Elfmeter habe ich in Deutschland und für Belgiens Nationalmannschaft gehalten. Du musst immer arbeiten und gesund und menschlich leben. Du musst nicht denken, dass du heute gut bist. Du musst immer wissen, dass du ein Ziel erreichen möchtest. Auf legalem Weg korrekt und ehrlich sein. Warum wollen mich viele Leute für meine Vorträge verpflichten und warum bin ich in Deutschland und England so beliebt. Ein Jahr vor Vertragsende habe ich den FC Bayern München verlassen. Ich habe meinen Stolz gehabt. Ich bin kein Mann, der Geld auf der Tribüne verdienen möchte. Ich bin mit Bayern München korrekt auseinandergegangen. Wir haben uns alles Gute gewünscht. Noch immer schlägt mein Herz für den FC Bayern München, aber ich habe auch Respekt vor Vereinen wie Köln und Mönchengladbach. Du musst immer schauen, dass du besser als die Konkurrenz bist. Mein Wort hat mehr Gewicht als mein Autogramm. Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen, wo es wenig gab, aber die Liebe kann man nicht kaufen.

Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: Jean Marie Pfaff, Bayern München, Belgien, WM 2014,1. FC Köln, Borussia Mönchengladbach, Hamburger SV
Datum: 31.08.2013 10:12 Uhr
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