Interview mit Dragoslav Stepanovic


Dragoslav Stepanovic: „Bei Götze und Reus überlegt sich der Verteidiger, ob er sich krankmeldet“

Sein Spruch „Lebbe geht weida“ hat auch ihn als Person anschaulich charakterisiert. Zweifelsfrei ist Dragoslav Stepanovic ein echter Typ in der Bundesliga gewesen, eine Persönlichkeit, die Medien und Fans mit seiner Lockerheit begeistert hat und die kickenden Angestellten sehr gut eingestellt hat. Im Jahr 1992 tätigte der mittlerweile 64-Jährige diesen allseits bekannten Spruch, der ein positives Denken und ein Festhalten an den Zielen auch nach der schwersten sportlichen Niederlage, verlangt. Damals war der serbische Kulttrainer mit Eintracht Frankfurt in einem Saisonfinish am letzten Spieltag von VfB Stuttgart abgefangen worden. Die zweite mögliche Meisterschaft nach 1959 für den hessischen Traditionsverein war damit passé. Reporter Henning Klefisch hat sich mit einer der schillerndsten Figuren der Bundesligageschichte unterhalten.

Wie sehr hat Sie der Spruch „Lebbe geht weida“ geprägt?
“Meine Mutter hat immer schon gesagt: Mein Sohn. Für Probleme gibt es Lösungen. Nur Du musst aufpassen. Das Leben geht weida.“

War es auch eine Tugend, dass sie nach der denkbar knapp verpassten Meisterschaft im Jahr 1992 auch weiter positiv denken und nicht an der bitteren Niederlage bei Hansa Rostock zerbrachen?
“Nachdem wir das letzte Spiel verloren hatten, ging für mich sowieso das Leben weiter.
Natürlich schmerzte diese Niederlage, da Frankfurt die stärkste Mannschaft gewesen ist.
Fußball ist dennoch wie jede Arbeit. Es geht um Gewinnen oder um Verlieren. Man hätte in die Geschichte eingehen können, weil Eintracht Frankfurt nicht so oft wie Bayern München den Titel gewinnt. Einmal war es 1959 und dann 1992. Jahrelang haben wir darauf hingearbeitet. Wir müssen uns auf das vorbereiten, was kommt. Niederlage, Sieg, Unentschieden, Feiern. Trauern. Man muss immer ruhig bleiben.“

Zweifelsfrei ist die Entwicklung bei Eintracht als die positive Überraschung schlechthin zu betrachten. So belegt der Aufsteiger einen sensationellen 4. Tabellenplatz und hat schon stolze 30 Punkte auf der Habenseite. Wie bewerten Sie Ihren Ex-Verein?
“Ich bin mit der Entwicklung zufrieden, weil Veh ein Trainer ist, der eine Mannschaft spielen lässt. Die Mannschaft hat noch die ganze Rückrunde vor sich. Vor zwei Jahren war es ähnlich. Ich glaube, dass die Eintracht noch neun Punkte braucht. Ich wäre überaus zufrieden, wenn wir so schnell wie möglich dieses Ziel erreichen.“

Ist die Europa League ein realistisches Ziel für diese Saison?
“Wenn man die Chance hat, die Europa League oder sogar Champions League zu erreichen, dann sollte man diese Möglichkeit auch ergreifen. Man weiß bekanntlich nie, wie das nächste Jahr läuft. Für den gesamten Verein wäre es wunderbar, wenn noch in dieser Saison der Einzug ins europäische Geschäft gelingen würde.“

Wie schätzen sie die vielmals kritisierte Fanszene der Eintracht ein?
“Ich habe keine Chaoten gesehen. In den letzten zehn Jahren hat die Eintracht nur einmal im Europacup gespielt. Einige Fans sind vielleicht auch deshalb unzufrieden und ungeduldig. Das Stadion ist immer sehr gut gefüllt mit 40 bis 45.000 Zuschauern, ob in der Bundesliga, beim Abstieg oder Aufstieg. Die Fans sind immer da. Die Eintracht hat in den letzten Jahren immer zwischen Platz zehn und fünfzehn gespielt. Mein Kompliment an die Fans. Sicherlich gibt es eine Gruppe, die sich falsch verhält. Dieses Problem kann auch gelöst werden.“

Wie beurteilen sie die Maßnahmen wie einen Schweigeprotest von 12 Minuten und 12 Sekunden von vielen Fans in den Bundesligastadien? Sind diese Aktionen der Fans richtig?
“Ich bin eine Person, die immer für einen Kompromiss bereit ist. Wenn man mit den Fans sprechen kann, dann sollte man dies tun. Ein Modus sollte gefunden werden, womit beide Seiten zufrieden sind. Diese 12.12 Minuten haben gezeigt, dass die Atmosphäre im Stadion fehlt. Ohne Fans wäre der Fußball uninteressant.“

Wie bewerten sie die Stehplatzdiskussion?
“In Leverkusen hat mir die Kameraüberwachung sehr gut gefallen, weil dadurch der Übeltäter überführt wurde. Er geht aus dem Fanblock. Dann hat sich das Problem erledigt. Manche Fans sind Einzelkämpfer. Das ist eine kleine Gruppe, die sich daneben benimmt. Die einzelnen Unruhestifter sollten herausgesucht und bestraft werden. Manche Fans sind richtig gut. Ganze Familien gehen ins Stadion. Die meisten Fans sorgen für solch eine tolle Stimmung, dass man nicht alles pauschalisieren sollte.“

Haben die Fans heutzutage eine größere Bedeutung als vor 20 Jahren als sie noch selbst Trainer in der Bundesliga waren?
“Wir haben damals mit 23.000 Zuschauern um die Tabellenführung in der Bundesliga mitgespielt. Heute hat Frankfurt 48.000 und kämpft um den Klassenerhalt. Das wäre für uns damals sehr hilfreich gewesen, wenn wir in den Heimspielen soviele Fans gehabt hätten. Wir hätten den einen oder anderen Punkt mehr geholt.“

Wie sehr vermissen Sie die Bundesliga? Nach ihrer erfolgreichen Zeit, besonders in Leverkusen und Frankfurt, kommt da ein bisschen Wehmut auf?
“Die Zeit ist vorbei. Ich habe meine Zeit genossen. Ich habe sehr positiv und offensiv spielen lassen. Meine Mannschaft hat nicht nur mir, sondern auch sehr vielen Zuschauern Spass gemacht. Wenn ich heute über die Straße gehe, sagen mir manche: Ich weiß nicht, wie sie heißen, aber sie haben doch gesagt: „Lebbe geht weida“. Nun weiß ich, dass sich meine Trainerzeit langsam dem Ende zuneigt. Aber ich möchte noch zwei, drei Jahre im Trainerjob arbeiten. Aber dann möchte ich mich einem anderen Job widmen.“

In der Bundesliga war „Stepi“ als Gentlemann bekannt, der mit Zigarillo und einem Trenchcoat eine echte Persönlichkeit an der Seitenlinie darstellte. Viel ist der im serbischen Rekovac geborene Stepanovic in seiner Karriere rumgekommen. Als Spieler kickte er für die beiden Spitzenklubs OFK und Roter Stern Belgrad; in Deutschland für Eintracht Frankfurt und Wormatia Worms, während er in England für den amtierenden Meister Manchester City unter Vertrag stand. In seiner Trainerkarriere entwickelte er sich zu einem Vielgereisten, der zahlreiche Vereine in Deutschland, aber auch in Griechenland, China, Ägypten, Spanien und seinem Heimatland trainierte. Die meiste Beachtung fand sein Engagement bei Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen und Atletic Bilbao, auch hat er die meisten Emotionen zu Beginn seiner Fußballkarriere gespürt: „Der Anfang war sehr emotional. Es kam ein Anruf von OFK Belgrad. Von der Jugend kam ich direkt in die erste Mannschaft. Ich habe erst gedacht, dass ich erst zwei, drei Jahre in der zweiten Mannschaft spiele. Allerdings hat der Verein 17 Spieler verkauft und wollte die Mannschaft verjüngen. Vom ersten Spiel an war ich dabei. Für mich war das erste Spiel der Wahnsinn. Dann sollte ich nicht auf meiner Stammposition der rechten Seite spielen, sondern auf der linken Verteidigerposition. Ich war kämpferisch stark und musste gegen den besten Spieler antreten. Der Trainer hat mir vertraut, obwohl ich noch nie auf der linken Seite gespielt habe.
Sehr viel Emotionen hab ich auch beim Leverkusener Pokalsieg 1993 gespürt. Auch die Zeit bei Eintracht Frankfurt, wo wir fast Meister geworden sind, war wunderbar. Wir haben viele Tore geschossen und Fußball gespielt. Wir hatten nie das Gefühl gehabt, dass wir ein Spiel verlieren könnten.“

Wie wichtig waren ihre Familie und ihre Freunde in ihrer Profikarriere?
“Meine Familie hat mich immer begleitet, durch Deutschland und europaweit. Ich bin von der Familie und besonders von meiner Frau wunderbar unterstützt worden. Im Beisein meiner Liebsten habe ich immer wieder Ruhe gehabt und ich konnte Kraft für die Spiele am Wochenende tanken.“

Ohne Familie wäre diese beeindruckende Karriere nicht möglich gewesen?
“Auf jeden Fall. Der wichtigste Teil war meine Familie. Ohne sie hätte ich diese Karriere nicht absolvieren können.“

Welchen Reiz hat die Bundesliga im Vergleich zu anderen Spielklassen? Ist sie wirklich die stärkste Liga in Europa?
“Nicht nur die stärkste, sondern auch die organisierteste Liga der Welt. Alles ist klar strukturiert. Die Finanzen sind klar geregelt. Nicht nur sportlich, sondern auch finanziell ist die Liga absolut vorbildlich. Auch in europäischen Wettbewerben, wie der Europa League und der Champions League, haben die deutschen Teams ihre Stärke eindrucksvoll demonstrieren können. Alle Teams haben sich für die KO-Runde qualifiziert. Das ist schon lange nicht mehr passiert.
Berti Vogts hat vor zehn, fünfzehn Jahren geschaut, wo es im Nachwuchsbereich Verbesserungsmöglichkeiten gibt und Nachwuchsleistungszentren aufgebaut, wovon nun der deutsche Fußball profitiert. Auch die Internate, die jeder Klub haben musste oder sollte. Auch deshalb hat Jogi Löw nun 50 Spieler, aus denen er auswählen kann.“

Wie bewerten Sie die Nationalmannschaft? Ist die Kritik berechtigt gewesen, nach dem Ausscheiden gegen Italien? War die Erwartungshaltung zu hoch?
“Ich habe es nicht verstanden, dass nach dem Griechenlandspiel, wo das Team so gut funktioniert hat und sie so hervorragend zusammengespielt haben, die Mannschaft so gewaltig verändert worden ist. Man kennt Italien, dass die defensivorientiert sind. Deshalb hätte ich mir technisch stärkere Spieler wie Götze und Reus erhofft, die in der Lage sind, Lücken in die gegnerische Abwehrkette zu reißen. Ich weiß nicht, was sich Jogi Löw dabei gedacht hat. Die Kritik ist nicht unbedingt berechtigt gewesen. Dennoch hätte er sich heute für eine andere Aufstellung entschieden.
Die Offensive von Deutschland war überragend. Jedem Fußballästheten ist das Herz aufgegangen.“

Welche bedeutenden Veränderungen hat es in den letzten 20 Jahren im Fußball gegeben? Nennen Sie Beispiele!
“Die Spieler sind aufgefallen. Als Beispiel nenne ich das Abschiedsspiel von Pele, wo ich selbst mitgespielt habe. Wenn ich meine Schnelligkeit mit der der heutigen Spieler vergleiche, dann war ich langsam. Es hat sich in Technik und Taktik extrem viel verändert. Jetzt sind Trainer gekommen, die die Schwächen der Gegner mit taktischen Maßnahmen ausnutzen wollen und können. Auch das Zuschauerinteresse steigt immer mehr an. Ein absoluter Wahnsinn. Es gibt keinen Überfluss. Ich bewundere Deutschland in den verschiedenen Sportarten, dass soviel Engagement und Leidenschaft von den Fans demonstriert wird.“

Wie stehen sie als „alter Taktikfuchs“ den neuen Spielformen gegenüber?
“In den letzten fünf, sechs Jahren mit nur einer Spitze ist es nicht mehr so offensiv wie man denkt. Wir haben immer mit zwei Spitzen gespielt. Eine Spitze gegen zwei Verteidiger ist sehr schwer. Ich vermisse die Außenspieler. Außenverteidiger, die über die Seite durchkommen und das Spiel des Gegners durchbrechen. Ich bin der Meinung, dass das Flügelspiel mehr trainiert werden muss. Das Dribbling und die Bewegung ist völlig anders. Die Lücken müssen gefunden werden. Wenn man sie nicht kennt, kann man sie nicht spielen und wenn man sie nicht trainiert, kann man sie nicht spielen.“

Hat der BVB Fußball nahe der Perfektion gespielt?
“Jürgen Klopp war mein Spieler bei RW Frankfurt. Wenn ich sehe, wie er Pressing betreibt, dann ist es sehr ähnlich zu mir, als er in meiner Mannschaft war. Für mich ist Dortmund eine der besten Mannschaften, die Pressing genauso wie das Offensivspiel beherrscht. Wenn ich Götze und Reus sehe, dann hat es jeder Verteidiger extrem schwer. Er überlegt sich dreimal, ob er spielt oder sich krankmeldet.“

Haben die beiden Potential weltweit mitzuhalten?
“Mit Messi und Ronaldo kann man die beiden durchaus vergleichen, weil sie genauso viele Tore schießen. Auch von der Technik sind die beiden absolut beeindruckend.
In Spanien wären sie fußballerisch sehr gut aufgehoben, wegen der Technik, aber auch, weil die ganze Mannschaft verteidigt. Im Aufbauspiel und auch beim Pressing arbeitet jeder mit.“

Was ist für die DFB-Auswahl bei der WM 2014 möglich? Immerhin belegt Deutschland derzeit den zweiten Platz in der Weltrangliste und war seit der WM 2006 bei jedem Turnier zumindest im Halbfinale?
“Brasilien, Spanien und Deutschland sind für mich die Topfavoriten. Löw ist in Zugzwang einen Titel zu gewinnen, weil Deutschland es verdient hat wieder Weltmeister zu werden. Die Vermittlung an die Mannschaft ist sehr wichtig. Talent und Klasse sind genügend vorhanden. Deutschland hat eine Mannschaft, die um den Titel mitspielen kann.“

Wie bewerten Sie den serbischen Fußball? Welche Probleme gibt es, dass es trotz technisch starker Spieler weder das Nationalteam noch die heimische Liga bis an die europäische Spitze schaffen kann?
“Es gibt wahnsinnig gute Leute. Wenn die Spieler jedoch mit 17, 18 oder 19 Jahre in diese schwere und ganz harte Liga ins Ausland gehen, dann ist dies nicht einfach. Ich vermisse in Serbien, dass sich eine Mannschaft zwei, drei Jahre einspielt. Es gibt Leute, die Spieler schon mit sieben bis zehn Jahren im Ausland unterbringen wollen. Diese Entwicklung gefällt mir überhaupt nicht. In einem fremden Land ohne Familie ist es schwer zu verkraften. Trotz des Talents ist dies schwer zu schaffen, weil sie sich auch wohlfühlen müssen!“

Was würden Sie denn im Rückblick anders machen?
“Ich bin total zufrieden. Zwei drei Jahre möchte ich meine Karriere noch fortsetzen. Die Jugendarbeit wäre mir ein Anliegen, weil ich noch nie mit der Jugend gearbeitet habe. Die Entwicklung von jungen Talenten würde mich enorm reizen, da ich gern etwas aufbauen möchte.“

Quelle: Privat
Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: Dragoslav Stepanovic; Eintracht Frankfurt; Jogi Löw; Mario Götze; Marco Reus; Borussia Dortmund; Jürgen Klopp
Datum: 08.01.2013 17:08 Uhr
Url: http://www.3-liga.com/news-fussball-interview-mit-dragoslav-stepanovic-3518.html


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