Ex-Referee Fröhlich: „Schiedsrichter sind zu oft Einzelkämpfer“


Schiedsrichter haben es in diesen Tagen gewiss nicht leicht, da sie von einigen Beteiligten des runden Leders als „Freiwild“ gesehen werden, welches verbal kritisiert werden kann und zuweilen auch körperlich angegangen wird. Es ist auch Zeit, die Referees besser kennen zulernen, um ihre Intention der Tätigkeit, aber auch ihre Ängste besser einschätzen zu können. Mit dem überaus erfahrenen Schiedsrichter Lutz Michael Fröhlich, der über 200 Spiele in der Bundesliga gepfiffen hat, aber auch viele wichtige internationale Begegnungen leiten muss, hat „DFB.de“ gesprochen.

Der 55-jährige DFB-Abteilungsleiter Schiedsrichter ist zuletzt in die Schlagzeilen geraten, weil er Dortmund-Trainer Jürgen Klopp kritisiert hat, dass aus „seinem aggressiven Verhalten gewaltsame Exzesse erwachsen können.“ Später hat er sich jedoch in der „Bild“ für seine Ausdrucksweise entschuldigt: „Es ging mir um eine grundsätzliche Sensibilisierung für dieses Thema, denn das hat Einfluss auf die Arbeit der Schiedsrichter in allen Bereichen des Fußballs. Es geht mir nicht um Personen, und es war nicht meine Absicht, eine bestimmte Person anzugreifen.“
Nun äußert er sich über die verschiedenen Themen, die zu diskutieren sind. Gleichzeitig beschreibt er jedoch auch den Antrieb für den Beruf des Schiedsrichters, wenn er die Vorzüge beschreibt: „Man betrachtet den Sport aus einer anderen Perspektive, ist aber trotzdem total in dem Sport drin. Entscheidungen treffen und durchsetzen, dabei die Regelbestimmungen gleichermaßen berücksichtigen wie zwischenmenschliche Aspekte, der Umgang mit den Konflikten im Spiel sowie den unterschiedlichen Interessen, und bei all dem rollt der Ball - das ist faszinierend. Auch dass der Schiedsrichter mit seinen Entscheidungen und seinem Auftritt immer auch den Spielablauf mitgestaltet. Das ist eine Schule für das Konzentrationsvermögen und Verantwortungsbewusstsein. Und es ist eben Sport und in der Bundesliga dann auch Spitzensport. Ich war gerne Schiedsrichter und habe dabei viel lernen können, auch mit eigenen Fehlern umzugehen.“
Viele Schiedsrichter haben selbst einmal aktiv gekickt. Mangels Talent oder wegen einer Verletzung musste letztlich das aktive Spielen aufgegeben werden und man entschied sich für die leitende Funktion des Referees. Über seine Anfänge berichtet der Berliner Fröhlich wie folgt: „Ich konnte meinen damaligen Torwartjob wegen einer Schleimbeutelentzündung in der Hüfte erst mal nicht mehr ausführen. Ich habe mich in dieser Zeit entschieden, einen Schiedsrichteranwärter-Lehrgang zu absolvieren. Schnell ergab sich dann die Möglichkeit, auch in der Schiedsrichtergruppe Fußball zu spielen. Das halte ich übrigens für ganz wichtig, dass Schiedsrichter sich intensiv auch mit Fußball beschäftigen und gerne Fußball spielen. Eine gut funktionierende und organisierte Schiedsrichtergruppe, in der sich bereits erfahrene Referees um die Einsteiger kümmern, in der das gesellschaftliche Miteinander und die Lehrarbeit gut ausbalanciert sind, das fand ich vor. Und daher war mir dann auch rasch klar, mich in der Aufgabe als Schiedsrichters weiterentwickeln zu wollen.“
Über sein erstes Spiel weiß er auch noch bestens Bescheid, da sich solch ein Ereignis immer bestens einprägt. So erinnert er sich: „Den Schiedsrichteranwärter-Lehrgang habe ich in Berlin beim damaligen Bundesliga-Schiedsrichter Peter Gabor absolviert. Das muss 1975 gewesen sein. Meine ersten Einsätze hatte ich bei Vergleichen zwischen Schulen in Berlin. Wann ich mein erstes Verbandsspiel geleitet habe, weiß ich gar nicht mehr genau.“
Lutz-Michael Fröhlich ist ein echter Begriff im deutschen Fußball gewesen, da er mit seiner unaufgeregten Art eine sehr souveräne Spielleitung vollzogen hat. Trotz seines Aufstiegs zu einem internationalen Top-Schiedsrichter war dieser Karriereweg für ihn nicht geplant, wie er „DFB.de“ anvertraut hat: „Am Anfang war ich sogar nicht sonderlich ambitioniert. Es war Fußball, es war die Gemeinschaft und ich hatte Spaß am Schiedsrichterjob. Mehr war es am Anfang nicht. Natürlich wollte ich mich weiterentwickeln und hatte immer zum Ziel, meine Spiele möglichst erfolgreich zu leiten. Erfolgreich aber nicht in dem Sinne, dass ich möglichst schnell möglichst hochklassig pfeifen wollte. Ich wollte die mir übertragenen Spiele gut leiten. Das war der Maßstab. Ich glaube auch, dass es eine gefährliche Motivation ist, wenn jemand nur Schiedsrichter wird, um eines Tages das WM-Finale zu leiten.“ Und er gibt den Ratschlag, dass nicht allein die Bundesliga als klares Ziel definiert werden sollte. Vielmehr nennt er andere Ambitionen, die ausschlaggebend sein sollten: „Die Motivation sollte darin bestehen, sich weiterzuentwickeln mit dem Ziel, besser zu werden. Da kann eine Vision Ansporn sein, wenn man dadurch den Realitätsbezug nicht verliert. Die Entwicklung vollzieht sich in kleinen Schritten, und jeder Schritt muss dabei als Erfolg genossen werden. Und man muss einfach Spaß am Schiedsrichterjob haben. Sonst wird der Druck zu groß, man quält sich und verliert an positiver Ausstrahlung. Ein gesunder Ehrgeiz, über eine persönliche Weiterentwicklung dann auch von Klasse zu Klasse weiterzukommen, das wäre meine Empfehlung.“
Die neu aufkommende Gewalt im deutschen Fußball sorgt dafür, dass die Schiedsrichter auch gehört werden wollen. Bei der Retroperspektive erinnert sich auch Fröhlich an eine unangenehme Situation seinerseits: „Bei einem Spiel der Oberliga in Berlin gab es mal eine zugespitzte Situation mit Zuschauern. Damals gab es nach dem Spiel Probleme. Ansonsten bin ich aber von körperlichen Übergriffen verschont geblieben.“ Und nennt konkret die Situation, die zu solch einer Aggression geführt hat: „Wenn ich mich richtig erinnere, ging es damals um eine Abseitsbewertung kurz vor Schluss. Der Assistent hat nicht gewunken, ich habe folglich das Spiel weiterlaufen lassen, daraus erzielte der Außenseiter dieser Partie den Siegtreffer. Aus dem Zuschauerblock der Mannschaft, die das Spiel verloren hat, sind dann einige Zuschauer über die Barriere gesprungen und haben uns bedrängt. In dieser Situation bin ich damals getreten worden.“
Seine Gefühle beschreibt er: „Angst ist der falsche Begriff. Ich war erschrocken und habe mich sehr unwohl gefühlt, weil ich das Gewaltpotenzial nicht einschätzen konnte. Man weiß ja nie, was sich aus so einer Situation entwickelt.“ Durchaus verständlich ist es gewesen, dass er sich über diesen Vorfall intensive Gedanken gemacht hat. Überraschend kam diese Situation, da die Oberliga damals schon überaus professionell gewesen ist: „Ich war zunächst etwas geschockt und enttäuscht, dass so etwas auch auf dieser Ebene noch vorkommen kann. Die Oberliga war damals die dritthöchste Spielklasse. Ich habe einige Zeit darüber gegrübelt, warum so etwas passieren muss.“ Dennoch setzte er seine Karriere fort, auch weil er dieses Ziel keinesfalls aufgeben wollte. Trotzdem zeigt er jedoch auch absolutes Verständnis, wenn Unparteiische mit der Tätigkeit nach solch einem Vorfall aufhören: „Gewalt traumatisiert. Wenn ein Mensch die Gewalterfahrung nicht mehr aus dem Kopf bekommt und beispielsweise als Schiedsrichter Angst bei seinen Spielleitungen hat, dann ist es logische Konsequenz, dass er nicht mehr als Schiedsrichter agieren kann und aufhört.“
Fröhlich ist kein Mann, der vor unangenehmen Situationen flieht. Vielmehr stellt er sich den Problemen: „Das ist auch abhängig von der Intensität der Gewalterfahrung. Aber grundsätzlich lohnt es sich, für seinen Sport zu kämpfen. Wenn man mit Herz, Leib und Seele Schiedsrichter ist, dann wäre es schade, sich das durch ein Ereignis kaputt machen zu lassen. Hier kann die Schiedsrichtergruppe des Betroffenen hilfreich sein. Schiedsrichter sind auf dem Spielfeld immer noch zu oft Einzelkämpfer, umso wichtiger ist es, dass sie sich in der Gemeinschaft austauschen, helfen und auch wieder aufbauen. Und das funktioniert nach meinen Erfahrungen in vielen Fällen vorbildlich.“
Über die Tatsache, dass möglicherweise die Hemmschwelle zur Gewalt deutlich abgenommen hat, versucht der erfahrene Schiedsrichter eine mögliche Erklärung zu finden: „In Deutschland spielen einige Millionen Menschen in knapp 170.000 Mannschaften Fußball. Fußball ist absoluter Volkssport und damit auch repräsentativ für gesellschaftliche Entwicklungen. Insofern spiegelt sich im Fußball eine Entwicklung in unserer Gesellschaft wider. Daher wäre es falsch, das Gewaltproblem nur auf den Fußball zu reduzieren. Gewaltanwendung gegen Menschen gibt es auf Bahnhöfen, in Zügen, auf Plätzen, auf Schulhöfen etc. Wie gesagt, die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung ist niedriger geworden.“ Sicherlich ist dieses Gespräch auch zum Anlass genommen worden, um über den jüngsten Todesfall eines Linienrichters zu berichten, der von mehreren Jugendlichen regelrecht totgeprügelt worden ist. Fröhlich reagiert darauf bestürzt: „Schlimm, ja. Das ist ganz furchtbar. Gott sei Dank gab es bei uns noch keinen Vorfall, der vergleichbar dramatisch ausgegangen ist. Und wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit dies auch so bleibt.“
Eine mögliche Konsequenz dieser extremen Gewaltexzesse ist sicherlich auch, dass die Zahl der möglichen und auch der realen Schiedsrichter abnehmen wird. Auch wenn es derzeit in Deutschland noch rund 800.000 Schiedsrichter gibt, so wird man diese Zahl nicht beibehalten können. Fröhlich äußert sich besorgt über diese Entwicklung: „Wir müssen davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren die Quote der Abgänge die Quote der neu ausgebildeten Schiedsrichter übersteigt. Es gibt eine starke Fluktuation bei den Mitte- und Endzwanzigern, etwa wenn das Studium absolviert und eine Familie gegründet wird. Diese Schiedsrichter beim Sport zu halten, das wird die große Herausforderung der nächsten Jahre sein. Da geht es um neue Ideen und Konzepte zur Schiedsrichtererhaltung.“
Einen Ratschlag kann der langjährige Bundesliga-Schiri einem zweifelnden, jungen Kollegen auch noch mit auf den Weg geben: „Vorausgesetzt, er ist ein Fan des Fußballspiels, stelle ich ihm vier Fragen: Willst du Sport treiben? Willst du dich persönlich weiterentwickeln? Willst du dich in eine Gemeinschaft einbringen und auch Spaß haben? Willst du für das Leben lernen? Ich glaube, dass viele Menschen diese Fragen mit "Ja" beantworten. Und für sie alle habe ich einen Rat: Dann werdet Schiedsrichter!“ Schiedsrichter zu sein, ist eine echte Berufung, denn diesen Beruf muss man lieben, gerade, weil man keine Reichtümer mit dieser Beschäftigung verdienen kann. Die Charakterstärke wird jedoch deutlich verbessert und ebenfalls die beruflichen Chancen, da solche Tätigkeiten als sehr wichtig erachtet werden.

Quelle: dfb.de ; bild.de
Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: DFB; Schiedsrichter; Fröhlich; Klopp
Datum: 11.12.2012 17:36 Uhr
Url: http://www.3-liga.com/news-fussball-ex-referee-froehlich--„schiedsrichter-sind-zu-oft-einzelkaempfer“-3171.html


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