Dieter Müller: „Die Zeit war noch nicht gekommen, dass ich sterben sollte“


Der ehemalige Fußball-Nationalspieler Dieter Müller ist zweifelsfrei eine ganz besondere Persönlichkeit im deutschen Fußball. Deshalb nahmen auch viele Menschen an seinem Schicksal Anteil, als der ehemalige Stürmer des 1. FC Köln und der Offenbacher Kickers fünf Tage im Koma gelegen hat, weil er einen Herzinfarkt erlitten hat. So ganz langsam kehrt Müller wieder ins Leben zurück, denn gut erholt zeigt er sich in den ersten Tagen des Jahres 2013. Nun kann der 58-Jährige wieder selbst ein wenig Sport treiben und auch seine Fußballschule betreuen. Dennoch hat der ehemalige Goalgetter, der in der Bundesliga in 248 Begegnungen 159 Treffer erzielen konnte, nicht vergessen, dass er von einigen Schicksalsschlägen heimgesucht worden ist. So berichtet er: „Das Brutalste war der Tod meines 16-jährigen Sohnes wegen eines Gehirntumors.“

Auf und außerhalb des Fußballplatzes ist Müller stets als erfolgreicher Mann dahergekommen, der häufig die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Als Sympathieträger hat er die Fußballfans in Deutschland bewegt. Über seinen derzeitigen Gesundheitszustand berichtet er gegenüber „DFB.de“: „Gut, den Umständen entsprechend sogar sehr gut. Ich kann wieder Sport machen. Joggen, etwas Fußball spielen. Die Ärzte raten mir sogar dazu, das zu tun. Ich habe zwölf Kilogramm abgenommen. Das versuche ich jetzt zu halten. Von der Psyche her ist es manchmal noch etwas schwierig. Im Prinzip war ich ja fast tot. Diese Vorstellung ist nicht ganz einfach, das muss ich erst mal alles verarbeiten. Aber ich arbeite mit einer Psychologin zusammen, es wird immer besser. Es ist schon ein Wunder, dass ich hier und heute mit Ihnen sprechen kann. 31 Minuten hat mein Herz nicht geschlagen.“
Nach solch einem Herzinfarkt, der völlig unerwartet gekommen ist, muss Müller erst einmal wieder Vertrauen in seinen Körper aufbauen, wie er offen zugibt: „Ja, genau so ist es. Wenn meine Frau an jenem Sonntagabend im September nicht so toll reagiert hätte, würde es mich nicht mehr geben. Jetzt höre ich natürlich noch viel mehr in mich hinein.“ Besonders ein tragisches Ereignis hat ihn ganz besonders mitgenommen, wie er „DFB.de“ verraten hat: „Ich hatte schon immer ein sehr intensives und außergewöhnliches Leben – mit allen Höhen und Tiefen. Ich war früh Nationalspieler, große Karriere in Köln. Aber wirklich schrecklich war der Tod meines 16-jährigen Sohns wegen eines Gehirntumors. Das war 1997. Es war ein langer und brutal harter Prozess. Da habe ich in die Abgründe der menschlichen Seele hinabgeschaut. Mein Herzinfarkt war anders. Das ging alles unglaublich schnell, ich habe kaum etwas mitbekommen. Ich lag ja fünf Tage im Koma.“
Der 30. September 2012 war sicherlich für Dieter Müller ein ereignisreicher Tag. Dort stand sein Leben für einige Momente auf der Kippe. Allerdings hatte er offenbar einen Schutzengel, der für eine Rettung sorgen könnte. Müller beschreibt seine Erinnerung an diesen Tag: „Ich kann mich an fast nichts mehr erinnern. Vieles hat mir nachher meine Frau erzählt. Wir hatten gerade ein paar Tage Urlaub gemacht und waren wieder zu Hause. Ich habe mich einfach nicht wohl gefühlt. Und danach ist alles weg. Meine Frau hat direkt den Notarzt angerufen. Alle gemeinsam haben grandios reagiert und mir das Leben gerettet. Innerhalb von zehn Minuten waren die Rettungskräfte da. Ich hatte 1000 Schutzengel. Die Zeit war noch nicht gekommen, dass ich sterben sollte. Ich hatte ein großartiges Leben bislang und bin froh, dass es noch etwas weitergeht. Ich bin ein sehr dankbarer und optimistischer Mensch.“
Über sehr ungewöhnliche Vorstellungen berichtet er, als er direkt aus dem Koma aufgewacht ist. Für ihn waren dies auch unangenehme Bilder, die ihn in diesem Moment tangiert haben.
„Als ich aus dem Koma aufgewacht bin. Da hatte ich fürchterliche Halluzinationen. Ich habe Feen und Gnome gesehen. Eindrücke vom Kölner Karneval, aus Offenbach und Frankreich waren dabei. Es hat sich alles vermischt. Das war extrem, das waren teilweise schlimme und komische Sachen. Das hat mir Angst gemacht.“
Dieter Müller sieht das Leben nun mit anderen Augen. Dennoch sieht er den Fußball auch zukünftig als einen ganz wichtigen Teil in seinem Leben, wie er „DFB.de“ verraten hat: „Früher war der Fußball ein entscheidender Teil in meinem Leben, und heute ist er mir auch nicht unwichtig. Ich habe vieles immer extrem kritisch gesehen. Jetzt bin ich vielleicht insgesamt etwas entspannter. Aber der Fußball begleitet mich seit meiner Kindheit. Ich habe das Glück, dort unglaublich viele Freunde gefunden zu haben. Durch meine Fußballschule habe ich viele tolle Erlebnisse mit Kindern, die mich verehren. Das tut gut. Der Nachwuchs ist mir einfach extrem wichtig. Auch deshalb unterstütze ich sehr intensiv Jugendliche aus ärmlichen Verhältnissen. Ich freue mich unheimlich, wenn man dort Gutes tun kann. Ich liebe Fußball, ich habe dieser Sportart unheimlich viel zu verdanken.“
Dieter Müller hat menschlich wie fußballerisch deutliche Spuren hinterlassen. Er selbst definiert seine Zeit beim 1. FC Köln als die schönste in seiner gesamten Karriere, nicht nur wegen der Erfolge: „Bordeaux und Offenbach waren toll. Aber Köln war riesig. Ich durfte dort mit genialen Spielern auf dem Platz stehen, Wolfgang Overath oder Heinz Flohe zum Beispiel, der ja inzwischen leider seit zwei Jahren im Koma liegt. Das belastet mich sehr, Heinz Flohe ist ein ganz toller Mensch. Beim FC war meine schönste Zeit. Wir sind Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger geworden, standen im Halbfinale des damaligen Landesmeister-Wettbewerbs. Das war fantastisch. Ich habe noch immer einen sehr engen Kontakt zu diesem Verein. Dort wurde ich zum Stürmer des Jahrhunderts gewählt. Ich habe in 248 Spielen 159 Tore gemacht. Das ist ja fast unglaublich,“ erinnert er sich noch gerne zurück.
Im Fußball hat sich vieles verändert. Vor allem die Zweikampfführung, wie Müller betont. So ist er der Meinung, dass es zu seiner aktiven Zeit deutlich schwerer gewesen ist, Tore zu schießen, da die Abwehrspieler noch konsequenter in die Zweikämpfe gehen durften. So vergleicht Müller etwa: „Aber ohne zu übertreiben, würde ich schon sagen, dass ich vor dem gegnerischen Tor einen riesigen Willen und fast immer den richtigen Instinkt hatte. Das habe ich ja bei all meinen Stationen bewiesen, schon in der Jugend habe ich regelmäßig getroffen. Auch in den internationalen Wettbewerben war ich sehr erfolgreich. Heute ist es einfach anders. Es gibt zwei Komponenten. Der Fußball ist viel schneller und athletischer geworden. Aber wir hatten es früher deutlich schwerer, weil die Abwehrspieler teilweise brutal waren. Die konnten sich fast alles erlauben. Das ist heute überhaupt nicht mehr möglich. Mittlerweile wird jede Situation kritisch hinterfragt, auch wegen des Fernsehens.“
Der 17. August 1977 ist der deutschen Fußballwelt im Allgemeinen und Dieter Müller im Speziellen sicherlich in guter Erinnerung, denn beim 7:2-Erfolg über den SV Werder Bremen konnte der gebürtige Offenbacher sechs Treffer erzielen. Für den Torjäger wäre sogar noch mehr möglich gewesen, wie er preisgibt: „Und ich hätte auch acht, neun oder zehn Tore erzielen können. Das war natürlich eine Ausnahme und wird sehr lange nicht mehr passieren. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass ich auch heute noch eine sehr gute Quote hätte. Vielleicht wären es nicht mehr 40 Treffer, aber 30 oder 25. Meine Tore würde ich noch immer machen, da bin ich sicher. Aber das trifft auch auf andere außergewöhnliche Stürmer wie Gerd Müller zu.“
Vier Spielzeiten kickte er für die Offenbacher Kickers und zwölf Jahre war er ihr Präsident. Die derzeitige Entwicklung auf dem Bieberer Berg schätzt er ein: „Der Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals ist ein toller Erfolg. Ich werde mir das Spiel gegen den VfL Wolfsburg auf jeden Fall anschauen. Ich war ja zwölf Jahre dort Präsident, zuletzt war ich etwas müde. Deshalb habe ich mich zurückgezogen, es war ein Verschleiß da. Ich wollte etwas Abstand gewinnen. Aber ich bereue nichts aus dieser Zeit. Ich hoffe und wünsche mir, dass die Verantwortlichen jetzt die richtigen Entscheidungen treffen. Es ist schwer, aus der 3. Liga heraus zu kommen. Aber meiner Meinung nach gehört ein Verein wie Kickers Offenbach in die 2. Bundesliga, das muss der nächste Schritt sein.“
Zwischen 1976 und 1978 hat Dieter Müller zwölf Länderspiele für das DFB-Team absolvieren können, indem er immerhin neun Treffer erzielen konnte. Über den Kontakt zum deutschen Fußball-Bund äußert er sich ebenso lobend, wie über den Bundestrainer Joachim Löw: „Zunächst möchte ich betonen, dass sich der DFB mit meinem Freund Wolfgang Niersbach rührend um mich gekümmert hat. Da kommt wirklich viel Herzlichkeit rüber, da zählt noch der Mensch. Diese Einstellung überträgt sich meiner Meinung bis in die A-Nationalmannschaft. Ich finde Joachim Löw Klasse, als Persönlichkeit und als Trainer. Er hat einen ganz schweren Job, die Kritik ist manchmal krass überzogen.“
Über die diskutierten taktischen Fehler, die Jogi Löw begangen hat, meint Müller: „Ob er gegen Italien einen Fehler gemacht hat, kann und will ich nicht beurteilen. Aber nachher sind immer alle schlauer. Trotzdem haben wir eine gute Europameisterschaft gespielt. Auch in Brasilien können wir im nächsten Jahr mit Sicherheit eine gute Rolle spielen. Die Mischung aus jungen und talentierten Spielern sowie einigen Routiniers stimmt. Ob wir dann tatsächlich Weltmeister werden, das kann doch vorher kein Mensch seriös beantworten. Da kommen zu viele Faktoren wie Glück und Zufälle zusammen, um eine vernünftige Prognose abgeben zu können. Ich sage Ihnen eines ganz ehrlich: Ich habe so viel erlebt in meinem Leben, mich kann nichts mehr überraschen.“

Quelle: dfb.de
Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: Dieter Müller; 1. FC Köln; Kickers Offenbach; Gerd Müller; Wolfgang Overath; Heinz Flohe
Datum: 07.01.2013 19:43 Uhr
Url: http://www.3-liga.com/news-fussball-dieter-mueller--„die-zeit-war-noch-nicht-gekommen--dass-ich-sterben-sollte“-3496.html


Kommentare

Die Kommentar-Funktion wird momentan überarbeitet und ist in Kürze wieder verfügbar!

Für diese News ist leider noch kein Kommentar vorhanden.

Für den Inhalt des Kommentars ist der Autor verantwortlich. Die Kommentare spiegeln nicht die Meinung von 3-liga.com wieder.



Diese 3. Liga News könnten Sie ebenfalls interessieren


Demnächst bekommen Sie die News auch als Homepagetool für Ihre eigene Webseite.
Sie möchten auch News für 3-liga.com schreiben? Dann werden Sie Fan-News-Schreiber. Mehr Informationen dazu bekommen Sie hier.