DFB-Chefscout Siegenthaler: „Wir sind auf dem richtigen Weg“


Auch dem Chefscout der deutschen Nationalmannschaft, Urs Siegenthaler, sind die starken Leistungen der beiden deutschen Vertreter Borussia Dortmund und FC Bayern München nicht verborgen geblieben. Am 25. Mai gibt es nun bekanntlich das deutsche Endspiel zwischen dem BVB und dem FCB. Ein Duell, welches die Massen elektrisiert und welches der 65-jährige Fußballanalytiker Siegenthaler zu begründen versucht. Auch andere Themen diskutiert der Schweizer im Gespräch mit „DFB.de“.

„Eine Machtverschiebung könnte stattgefunden haben“
So sieht er folgende Erkenntnisse aus den beiden Halbfinals zwischen Dortmund und Real Madrid und Bayern gegen Barcelona: „Die deutsche Presse war so überschwänglich, da erübrigt sich fast jeder Kommentar. Natürlich war der Verlauf der Halbfinals hocherfreulich. Für mich hat sich gerade nach den Hinspielen die Frage gestellt: Schwächeln die spanischen Mannschaften so sehr? Oder ist der deutsche Fußball so stark? Ich tendiere eher zur zweiten Variante.“ Besonders die Tatsache, dass Bayern München in beiden Spielen zusammengerechnet mit 7:0 über Barcelona triumphieren konnte, mag als Indiz dafür gelten, dass eine Machtverschiebung stattgefunden haben könnte. Siegenthaler hat auch ein schwächelndes Barca-Team gesehen: „Barca spielt seit Wochen keinen zielgerichteten Fußball. Nur den Ball in den eigenen Reihen halten, Ballbesitzzeiten hoch halten, alles mit wenig Effizienz in Bezug auf den Torabschluss, das ist auffällig. Dabei war der zielgerichtete Ballbesitz zuvor ihre große Stärke. Vielleicht hat die Trainerfrage tiefere Spuren hinterlassen als gedacht. Der Verein hat sich bei der Krankheit von Tito Vilanova ganz toll verhalten, aber sportlich ist es keine leichte Situation. Für beide Parteien, Verein wie Trainer. Aber das soll die Leistung des FC Bayern keinesfalls schmälern. Die Bayern spielen einen sehr modernen Fußball.“

Der Vergleich zwischen Fußball und der Parkplatzsuche
Über die Definition, was er als den modernen Fußball interpretiert, kann er folgendes beitragen: „Vergleichen wir das letzte Drittel eines Fußballfeldes, die Strafraumzone, mit einer Innenstadt. Beide sind genauso groß wie vor einigen Jahren. Mit einer großen Limousine finde ich mich kaum zurecht, die Enge, das Verkehrsaufkommen und andere Dinge machen mir die Durchfahrt schwer. Ich finde in der Innenstadt kaum einen Parkplatz, es gibt kaum Freiräume. Mit einem Mini finde ich eher eine Lücke, bin beweglich, kann mich der Situation besser anpassen, bin wendiger. Die Minis des modernen Fußballs heißen Messi, Shaqiri, Götze oder Reus.“ Und er nennt die Konsequenzen dieser Art des Fußballs: „Der heutige Fußball erfordert andere Denkweisen, es gibt immer weniger Freiheiten in der Angriffszone. Fast alle Teams stehen sehr kompakt in der Defensive, sind taktisch gut geschult und physisch auf einem hohen Niveau. Um sich gegen eine gut organisiert agierende Defensive behaupten zu können, brauchen sie diese Minis, welche die Eigenschaft besitzen, sich in dieser Enge bewegen zu können und Lösungen zu finden. Dazu ist ein gedanklich rasches Umschalten von großer Bedeutung. Die Bayern haben das gegen Barcelona in beiden Spielen außerordentlich gut gemacht.“

Verschiedene Angriffsvarianten
Es gibt jedoch unterschiedliche Varianten für die Angriffsspitze. Auch körperlich robuste Angreifer, wie Bayerns Mandzukic und Gomez oder Dortmunds Lewandowski stellen eine sehr gute Möglichkeit im Angriffszentrum dar. Dies hat auch Siegenthaler so erkannt, der differenziert ausdrückt: „Absolut. Aber sobald man einen solchen Spielertyp nicht hat, muss man andere Lösungen finden. Es geht darum, für Eventualitäten gewappnet zu sein. Zudem muss diese Art von Zentrumstürmer bereit sein, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Und man darf nicht vergessen, dass sie von der Stärke der Flügelspieler profitieren. Ein Robben oder Ribery, ein Götze oder Reus - sie alle wollen immer den Ball und scheuen nicht das Eins gegen eins, wodurch sie häufig Überzahlsituationen herstellen. Ich glaube, dass der fußballerische Schlüssel in Zukunft auf den Außenpositionen zu finden ist.“

„Die Bayern haben momentan das kompakteste Team von allen“
Verschiedene Spielmittel sind derzeit bei den europäischen Topteams praktiziert worden. Der Chefscout beschreibt diese verschiedenen Spielstile und nennt Vor- wie auch Nachteile: „Ich unterscheide diese drei Mannschaften. Doch eigentlich machen sie alle dasselbe – nur nicht an den gleichen Orten. Der FC Barcelona in Topform hat den Gegner schon an dessen Strafraumzone unter Druck gesetzt. Der Nachteil ist, dass man sich selbst die Luft zum Atmen nimmt, weil es bei Balleroberung unheimlich eng ist. Der BVB spielt ähnlich gegen den Ball – mit dem Unterschied, dass sie weiter in der Platzmitte angreifen. Das hat bei Ballgewinn den Vorteil, dass man mehr Raum nach vorne hat. Der FC Bayern wiederum steht sehr eng, das macht diese Mannschaft überragend gut. Ich glaube, dass die Bayern momentan das kompakteste Team von allen haben. Und ich habe sie noch nie so flink im Vorwärtsgang gesehen.“

„Es ist eine ganz wichtige Botschaft, dass sich die Nationalmannschaft und die Vereine gegenseitig bereichern“
Sehr erfreut zeigt er sich über die Entwicklung der deutschen Vereinsmannschaft aus Dortmund und München bis ins Finale der Champions League. Und er sieht Parallelen im DFB-Team, wie er „DFB.de“ verraten hat: „Die Erkenntnis lautet: Wir sind auf dem richtigen Weg. Das haben die Halbfinalspiele bewiesen. Hoch stehen, keine dummen Fouls begehen, schnell umschalten – so spielt auch die deutsche Nationalmannschaft. Deutlich zu erkennen ist, dass man nicht elf überragende Spieler, sondern ein überragendes Team braucht. Der Idealfall ist natürlich, dass man elf überragende Spieler und eine überragende Mannschaft auf dem Platz hat – so wie der FC Bayern zurzeit oder der FC Barcelona vorher.“ Und er sieht auch die deutsche Nationalmannschaft als eine Art Vorbild für die Bundesligateams: „Ich denke, es ist eine ganz wichtige Botschaft, dass sich die Nationalmannschaft und die Vereine gegenseitig in ihrer Arbeit bereichern und voneinander profitieren. Das Nationalteam hat seinen Anteil am aktuellen Fußball in Deutschland. Joachim Löw hat früh vertikales Spiel, rasches Umschalten und intelligentes Zweikampfverhalten gepredigt. Er hat damit bisweilen in ein Wespennest gestochen.

„Barcelonas Fußball hat unsere Denkweise geändert“
Über die Einzigartigkeit der Barca-Spielweise kann er folgendes sagen: „Barcelonas Fußball hat unsere Denkweise verändert. Früher war die Einstellung: Wenn man den Ball hat, geht die Post ab. Wenn man ihn nicht hat, zieht man sich erst einmal zurück in eine gute Organisation. Barca hat das umgekrempelt. Sie haben es geschafft, nach Ballverlust das Tempo zu bestimmen und Druck auszuüben und sich eher mal bei Ballbesitz auszuruhen. Die Denkweise, die dahinter steckt, ist weniger das Tor als den Ball zu sichern.“

Siegenthaler erklärt den modernen Fußball
Der Schweizer gilt als positiv-Fußballverrückter, der alles Erdenkliche dafür tut, damit tatsächlich eine praktikable Entwicklung im deutschen Fußball durchgeführt wird. Zugleich muss dieser jedoch auch erfolgsversprechend sein. Über den Fußball der Zukunft philosophiert er wie folgt: „Ein Thema ist nicht nur die Systemfrage. Ist das 4-2-3-1, das 4-4-2 oder 4-3-3 noch opportun? In Italien spielen viele Mannschaften mit einer Dreierkette in der Abwehr. Dem Trainer stellt sich die Frage: Was können seine Spieler umsetzen? Der zweite zentrale Punkt ist das Zweikampfverhalten. Dieser Aspekt des Spiels wird immer entscheidender – und zwar nicht als reines Mittel der Balleroberung, sondern als Auslöser des eigenen Angriffs. Ein guter Zweikampf führt zu schnellem Umschalten, ein schlechter Zweikampf führt nie vors gegnerische Tor.“

Quelle: dfb.de
Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: DFB; Siegenthaler; Borussia Dortmund; Bayern München; FC Barcelona; Messi; Gomez; Lewandowski; Götze; Reus
Datum: 03.05.2013 20:48 Uhr
Url: http://www.3-liga.com/news-fussball-dfb-chefscout-siegenthaler--„wir-sind-auf-dem-richtigen-weg“-5342.html


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